TAG 10 / NEWPORT (RI) – ROCKPORT
Montag, 30.04.2012
*kitschmode on* Die Sonne kitzelt uns wach und bis hoch in unser Zimmer duftet es schon nach frischem Kaffee. Das ist wie bei Muttern aufwachen, wenn unten schon Frühstück gemacht wird. Schnell hüpfen wir nach einer Dusche mit der hauseigenen Limonen-Seife in die Klamotten und begeben uns nach unten ins Esszimmer, wo ein großer Esstisch für alle gedeckt ist. Marc erscheint und fragt, ob wir auf der Veranda hinterm Haus frühstücken wollen. Wollen wir! Man hat die Auswahl aus drei kleinen Gerichten, die Marc frisch zubereitet und serviert. Nachdem wir uns das Frühstück haben schmecken lassen, trinken wir noch zwei, drei Tassen Kaffee und plaudern ab und zu ein paar Takte mit Marc, während uns die Sonne im Gesicht britzelt. */kitschmode off*
Aber um 11 Uhr ist Check-Out angesagt und es wird langsam Zeit. Schade, dass wir in Rockport bereits fest gebucht haben, sonst würden wir noch eine Nacht hierbleiben, auch weil Newport sicher noch einiges zum gucken zu bieten hätte. Schade auch, dass die Wettervorhersage schlecht ist, wie ich im Internet erfahren muss. Von New York an aufwärts bis nach Maine hoch wird für morgen Regen und Kälte vorhergesagt. Nutzt ja nix, wir verabschieden uns und satteln auf in Richtung Rockport. Eigentlich wollten wir ja über Plymouth fahren, um dort das Freilichtmuseum Plimoth Plantation zu besuchen, doch wir entscheiden uns kurzfristig dagegen, da es zum einen ein Umweg wäre und wir zum anderen gerne noch ein bisschen von der Landschaft hier mitbekommen würden. Außerdem möchten wir noch ein wenig von Rockport bei nettem Wetter mitbekommen, zumal unser Hotel dort direkt am Meer liegt.
Wir fahren also zuerst über die Landstraße los, bekommen aber nicht wirklich viel zu sehen, außer ein paar netten Ortschaften und den dazugehörigen Industriegebieten. Das wollten wir allerdings auch mal erleben, wenn es auch auf die Dauer langweilig ist: aus dem Ort raus, dann Shopping Mall, Carwash, Dunkin Donuts (mit oder ohne angeschlossene Tanke), McDonalds, Burger King, KFC, Taco Bell, vielleicht noch eine Pharmacy, ein bisschen Landschaft, nächster Ort, wieder raus, dann Shopping Mall, Carwash, Dunkin … und so weiter. Irgendwann reicht es und wir wählen die schnellere Strecke über die I95, die uns schon bald an Boston vorbei führt. Im Vergleich mit New York wirkt die Skyline sehr beschaulich, aber wir freuen uns schon auf die letzten Tage des Urlaubs hier. Jetzt geht es aber erst mal an Boston vorbei.
Nach einer weiteren halben Stunde fahren wir durch Gloucester durch und nach Rockport rein. Hier ist es wie in Newport, nur irgendwie … herber. Nicht alles so bunt und gepflegt, eher etwas „alternativer“, wenn auch ganz klar touristisch. Unser Hotel liegt ganz am Ende des „Bearskin Neck“, einer Landzunge an der Hafenausfahrt am obersten Ende des Ortes und heißt dementsprechend „Bearskin Neck Motorlodge“, denn man kann mit dem Auto bis an die Hintertür seines Zimmers heranfahren. Deren Besitzer Tony, ein netter älterer Herr mit rosigen Wangen und vielen Lachfalten, nimmt uns freundlich in Empfang. Seine Lodge hat nur acht Zimmer (vier oben, vier unten), beide Stockwerke jeweils nur durch eine Veranda vom Meer getrennt.
Da wir heute die einzigen Gäste sind, dürfen wir uns ein Zimmer aussuchen. Wir nehmen das unten links am Ende und Tony erklärt uns noch, was es zu wissen gibt. Der Mann plaudert viel und gerne und so erfahren wir unter anderem, dass er sich nach seiner Karriere als Rechtsanwalt in Boston die Lodge hier gekauft hat, um einen ruhigen Lebensabend zu haben und sich etwas nebenbei zu verdienen. Für die Pflege und andere Arbeiten hat er Personal, den Schreibkram und den Gästeempfang macht er. Meine Lieblingskonversation lief etwa so ab – Tony (auf seine Armbanduhr blickend): „Oh, es ist ja schon spät am Nachmittag, wird langsam Zeit für einen Gin! Ach ja, ich habe ganz vergessen Euch zu zeigen, wo Ihr die Eismaschine finden könnt!“. Ich: „Da sagst Du was – warum gibt es eigentlich in jedem amerikanischen Hotel mindestens eine Eismaschine für die Gäste? Was soll das?“ Tony (herzhaft lachend): „Na, für den Gin!“.
Nachdem wir ausgepackt haben zieht der Himmel zu, Wind kommt auf und es wird gleich lausig kalt. Also machen wir uns schnell auf eine Erkundungstour durch den Ort. Dazu genehmigen wir uns einen Kaffee bei „Helmut’s Strudel“ direkt gegenüber und laufen die „Fußgängerzone“ ab, die am Bearskin Neck zu enden scheint. Hier pennt wirklich noch alles im Vorsaison-Schlaf. Fast alle Geschäfte haben geschlossen. Und Restaurants gibt’s zwar genug, offene jedoch wenige und wenn machen die schon um 19 oder 20 Uhr zu. Es sind kaum Menschen auf der Straße unterwegs. Auch nicht am Hafen, wo ein kleines rotes Fischerhäuschen mit landesweiter Berühmtheit steht. Das sogenannte „Motif No. 1“ ist angeblich das meistgemalte Gebäude der USA, steht sinnbildlich für ganz Massachusetts und war sogar schon der Star auf einer US-Briefmarke. Aber irgendwann ist es einfach zu kalt (ohne Quatsch!) und wir gehen auf unser Zimmer zurück. Dort gucken wir aufs müde dahinplätschernde Meer, das heute von der Brandung her nicht wie der offene Atlantik, sondern wie ein Baggersee wirkt. Wir werfen dabei die Heizung an und überlegen. Mittlerweile ist es schon 19 Uhr und wir werden hier wohl kaum etwas Essbares finden, also beschließen wir, die zehn Minuten mit dem Auto zurück nach Gloucester zu fahren.
Nahe des Hafens finden wir den „Top Side Grill & Bar“. Immerhin – die haben bis 21 Uhr auf! Wir sind die einzigen Gäste im Restaurantbereich und Kellner Kai, ein Exil-Hawaiianer, ist froh, etwas zu tun zu haben. Da wir hier an der Hummerküste sind und die Dinger wirklich nicht teuer überall angeboten werden, traut Rebekka sich an so einen roten Kameraden mit „Breadcrumbs-Seafood“-Füllung heran. Ich bin ja nicht so der Seafood-Typ und lasse mir ordinäre Fish & Chips kommen. Kai ist sehr nett und überbrückt die Wartezeit aufs Essen mit netter Plauderei. Das Essen ist relativ fix da und ich habe einen Heidenspaß dabei zuzusehen, wie Rebekka mit dem knacken des Hummers kämpft. Zwischendurch kommt Kai immer mal wieder für ein Schwätzchen vorbei, erzählt uns unter anderem von einem 2 ½ jährigen Kind, dass vor zwei Wochen spurlos am Strand in Rockport verschwunden ist. Die Eltern seien Bekannte von ihm und es sei vermutlich ertrunken. Wir haben uns schon gefragt, weil überall in der Gegend Suchplakate mit einem Foto der Kleinen hängen. Er berichtet außerdem, dass es um diese Jahreszeit selten so kalt war, obwohl er auch schon mal Schnee erlebt habe Ende April, und das sich das Wetter morgen nicht ändern bzw. noch schlimmer werden solle.
Beim Nachtisch entscheiden wir uns dazu – sollte das Wetter wirklich so schlecht werden – morgen nach Kittery kurz hinter der Grenze nach Maine zu fahren, um im dortigen Mega-Outlet kräftig zu shoppen. Eigentlich sollte das Outlet nur nebenbei für ein Stündchen mitgenommen werden, aber dann wird es eben ein Hauptevent. Dann würden wir morgen einfach noch eine Nacht in Rockport bleiben, denn die Aussicht und der Preis stimmen auch bei Regen. Aber ob wir wirklich von Gloucester aus Whale Watching machen sollten bei dem Wetter, wie eigentlich morgen oder übermorgen geplant? Kai rät bei Regen und Wind definitv ab, wenn man kein Seemann ist. „You’ll puke the whole trip“. Wir überlegen uns das dann noch, übermorgen ist ja auch noch ein Tag …