TAG 8 / HIROSHIMA
Donnerstag 28.04.
Das Grauen kompakt
Morgens gehen wir erneut zum Memorial Park, schauen uns zuerst die unterirdische Gedächtnishalle an. Ein Brunnen, der die Uhrzeit symbolisiert, an dem die Bombe gezündet wurde, dazu ein fotorealistisches 360-Grad-Mosaik der zerstörten Stadt, das aus genau so vielen Steinen gefertigt ist, wie es bis Ende 1945 Opfer gab. Schön gemacht, schlicht und sehr beeindruckend. Im Vorraum laufen Filme, in denen Zeitzeugen ihre Erlebnisse schildern. Das Gefühl ist ähnlich wie bei Gedenkstätten für den Holocaust, man kann das Grauen nicht wirklich fassen. Draußen nieselt es und wir sind uneins, ob das immer noch zur Stimmung passt oder wir uns langsam ärgern sollen.
Aber egal, der nächste Programmpunkt ist sowieso wieder drinnen – das Peace Museum. Auch hier sind wieder dutzende japanischen Schulklassen unterwegs. Scheint zum Pflichtprogramm zu gehören. Ein Teil der Ausstellung ist leider geschlossen, wird gerade neu gestaltet. Aber der wichtigste über die Atombombe und ihre Folgen ist geöffnet. Ziemlich starker Tobak! Alltägliche Fundstücke wie verkohlte Brotdosen, Dreiräder oder Kleider sind ja noch harmlos. Aber es gibt auch Hautfetzen oder Organe zu sehen – dazu schonungslose Fotos und gute Erklärungen dazu, was die Strahlenkrankheit mit einem menschlichen Körper anstellt. Besonders krass ist der Teil einer Treppe, die zu einer Bank führte. Auf ihr saß ein Mensch zum Zeitpunkt der Detonation und verdampfte wie viele andere regelrecht. Seine Umrisse haben sich in den Stein gebrannt und sind noch gut zu erkennen. Die Schulklassen sind sehr höflich, es gibt weder Gedrängel noch Geschrei. Alle scheinen wie wir auch sehr beeindruckt.
Nach dem Museumsrundgang ist die Sonne raus gekommen. Zum Glück, denn als Kontrastprogramm wollen wir jetzt zum UNESCO-Weltkulturerbe um die Ecke – zur Insel Mijayima. Sie gilt als eine der drei schönsten Landschaften Japans. Und ein Foto vom roten Tori im Meer kennt wohl jeder. Praktischerweise fährt gleich ab dem Dome ein Boot rüber zur Insel. Für 2000 Yen geht es innerhalb von einer dreiviertel Stunde erst über den Fluss und dann aufs offene Meer. Das erste Drittel der Bootsfahrt ist langweilig – der Kanal ist betoniert, es gibt nicht viel zu sehen. Aber einmal auf dem Meer gibt der Käpt’n ordentlich Gas und die Gischt spritzt hoch. Man fährt an kleinen und großen grünen Inseln vorbei, die Sonne scheint durch dramatische Wolken – perfekt!
Allesfresser mit Hörnern
Angelandet in dem kleinen Hafen begegnen wir erst mal – natürlich – Schulklassen und einer Horde zahmer Rehe, für die diese Insel auch bekannt ist. Zahm sind sie zwar, aber sie fressen alles. Alles. Das ist lustig, wenn man anderen dabei zusieht, wie ihnen Sachen aus der Hand oder von hinten aus der Tasche geknabbert werden. Das ist nicht mehr ganz so lustig, wenn sich unbemerkt ein Reh von links nähert und einem ein Loch mitten in die einzige Karte wie man von der Insel hat mampft. Und einen danach genüsslich an dem Papierfetzen kaufend triumphal ansieht. Zum Glück übersteht unser Mittags-Imbiß (eine Fischfrikadelle und ein süßer Käse-Keks) die Reh-Attacken.
Das tolle rote Tori in der Bucht gehört zum Itsukushima Schrein, den wir uns anschließend geben. Er steht auf Stelzen im Wasser und als wir ankommen, zieht sich die Flut langsam zurück. Das ist mal ein friedlicher, wunderschöner Ort. Da will man glatt Shinto-Mönch werden. Per Zufall erleben wir eine traditionelle Shinto-Hochzeit von Beginn an mit. Die Rituale wirken schräg auf uns, aber die „Musik“ aus den komischen Blasinstrumenten der Mönche IST schräg. Fast ohrenzerfetzend schräg. Aber muss wohl so. Ansonsten läuft alles still und ohne zu sprechen ab. Die Hochzeitsgesellschaft sitzt einfach da und beobachtet die rituellen Handlungen, die der Priester an den Brautleuten vornimmt. Danach teilen sie noch ellenlange eine Schale Tee und das war es dann im großen und ganzen. Trotzdem sehr interessant und schön anzusehen.
Wir stromern noch etwas durch die tolle Anlage und dann hat Rebekka es sich in den Kopf gesetzt, noch auf den Berg zu kraxeln. Man kann auch ganz nach oben fahren, doch die Seilbahn erscheint uns sehr teuer und außerdem würde sie bald schließen. So laufen wir einfach nur ein wenig herum und sehen sehr viele schöne Wasserfälle. Wieder unten angekommen ist es fast schon total bewölkt. Einen tollen Sonnenuntergang mit Blick zum Tori im Meer können wir wohl knicken, aber wir bleiben trotzdem bis zur „Blauen Stunde.“ Gut so! Das Tori wird angestrahlt und sieht im Dunkeln fantastisch aus. Mittlerweile ist die Ebbe so weit, dass wir sogar bis zu ihm hin laufen können.
Jetzt aber zurück, es ist inzwischen doch ganz dunkel und ziemlich frisch geworden. Mit Der Fähre und der JR-Linie brauchen wir länger als für die Hinfahrt. Gegen 21 Uhr stehen wir mit einem Bärenhunger vor dem Hotel und wissen beide – es soll wieder der Okonomyaki-Laden von gestern abend werden. Dieses Mal sitzen wir direkt vor der Kochtheke, was noch interessanter ist. Als krönenden Abschluss wagen wir uns in eine Filiale von Karaoke-Kan. Wir bekommen ein kleine Kabine zugewiesen mit allem, was man braucht.
Per Telefon ordere ich erst mal ein paar Getränke bei der nicht englisch sprechenden Bedienung und dann widmen wir uns der Karaoke-Software, die man auf einer Art Tablet bedient. Sie ist komplett japanisch. Bis wir halbwegs raushaben, wie es funktioniert, haben wir etwa 20 mal versehentlich Scott McKenzies „San Francisco“ gestartet. Aber dann gibt’s das volle Programm. Boxen auf „Max“, Discobeleuchtung, Stimmverzerrer und all die Gassenhauer von Nirvana bis Blues Brothers. Die schlimmen Behelfsvideos zu den Songs sind fast noch witziger als das Singen. Wir verlängern und bestellen noch mehr Biru.
HOTEL-CHECK
Das Hiroshima Washington Hotel fanden wir schwer in Ordnung. Ein klassisches, schickes und modernes Business-Hotel mit verhältnismäßig großem Zimmer, kleinem Privat-Onsen im Bad (manche nennen es Badewanne), tollem Frühstück und wirklich gut gelegen. Dazu war es auch noch relativ günstig. Da kann man nichts falsch machen.