TAG 6 / TOKYO
Donnerstag, 15.05. / 23°C / bedeckt, später sonnig
Gestern Abend noch im Internet gelesen, dass der Fischmarkt erst ab 9 Uhr für Besucher öffnet. Deswegen sind wir dann doch erst um halb acht aufgestanden. Klar, man kann auch versuchen, einen der Plätze zur wohl spektakulären Tunfisch-Auktion zu ergattern. Aber die fängt um 5 Uhr morgens an und man sollte sich tunlichst um einiges früher anstellen, damit man eine Chance (!) hat, einen der wenigen Zuschauerplätze zu ergattern. Das war uns zu viel des Guten, zumal man von der Auktion auch nur 20 Minuten sehen darf und danach wieder gehen muss. Dann hätte man frühmorgens ohne Frühstück im fast Nirgendwo am Fischmarkt gestanden, nö danke. Und nein – Sushi zum Frühstück ist nix für uns.
Nun, wir waren um halb zehn vor Ort und das hat auch absolut ausgereicht. Das Fischmarktgelände liegt genau über der Metro-Station Tsukijishijo. Steigt man dort aus dem Zug, riecht man schon im Untergrund, wo es gleich hingeht. Aus der Station raus einmal um die Ecke stehen bereits freundliche Wachmänner, die einem den Weg weisen und eine kleine Karte in die Hand drücken. So gelangt man fix zu der Hauptmarkthalle, die in „Bungee-Form“ angelegt ist. Draußen sieht es ja schon sehr geschäftig aus, aber drinnen herrscht das Chaos. Man kann es wohl am ehesten mit einem unaufgeräumten und ziemlich abgeschrebbelten Hochregallager vergleichen, in dem es ständig wuselt und das nach Fisch riecht.
Die Gänge zwischen den einzelnen Ständen sind eng, die „Hauptstraßen“, die die Gänge verbinden, nur wenig breiter. Überall fahren kleine E-Laster herum, ähnlich Gabelstaplern nur ohne Gabel und Führerhaus, dafür aber auch elektrisch und damit quasi fast lautlos. Die Dinger kommen in die kleinsten Ecken und man muss wirklich immer ein Auge darauf haben, denn viel Rücksicht nehmen deren Fahrer nicht. Warum auch, sie arbeiten schließlich hier. Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr alle Arbeiter, Händler und „echte“ Kunden von den vielen Touristen genervt sein müssen. Man ist also dauernd darauf bedacht, nicht im Weg zu stehen. Gleichzeitig hüpft man über Fischreste und Pfützen und versucht, Putzwasser, das auf den Gang gekippt wird, geschickt auszuweichen. Ist man in all dem mal eine Viertelstunde drin und hat sich akklimatisiert, gibt es für das andere, nicht wachende Auge, wirklich viel zu sehen. Erstaunlich, was da alles so in unseren Meeren rumschwimmt (und was die Japaner davon alles essen). Der Fischmarkt ist ein buntes, leicht müffelndes, exotisches Riesendurcheinander und sehr interessant. Definitiv einen Ausflug wert!
Draußen vor der Halle herrscht nicht weniger Gewese. Hier schließen sich einige Sträßchen mit weiteren Marktständen und teils winzigen (Steh-)Restaurants an, die das wohl frischste Sushi der Welt verkaufen. Vor einigen von ihnen bilden sich sehr lange Schlangen. Dazwischen rasen auch draußen diese Mini-Transporter herum, zusätzlich Autos und LKWs. Es gibt sogar einen kleinen Shinto-Schrein, an dem die Händler frühmorgens für gute Geschäfte beten. Etwa zwei Stunden schauen wir uns das Spektakel an und gehen dann zu Fuß zum benachbarten Hamarikyu-Park.
Und zack – öffnet sich wieder eine neue Welt. Ein uraltes Überbleibsel aus der Shogun-Zeit mit Meerwasserseen (weil direkt am Hafen) und somit Ebbe und Flut, alten Ententeichen mit Entenjagdhäusern, einer 300-jährigen Pinie und malerischen Teehäusern. Trotz bedecktem Wetter wirkt der sehr schöne, weitläufige Park. Wir halten ein kurzes Schläfchen auf einem der Bänke, werden zur Besichtigung eines Teehauses eingeladen, von einem netten älteren Herrn angequatscht woher wir denn kommen und genießen diese Oase mitten im Trubel in vollen Zügen. Auch hier schlendern wir locker zwei Stunden und stehen nach Verlassen des Parks wieder mittendrin.
Links von uns sieht man schon die Werbetafeln des Edelshoppingviertels Ginza. Das brauchen wir aber nicht wirklich. An einer Schnellstraße (mit Hochstraße darüber) entlang, entern wir einen Kombini (so heißen hier die kleinen Supermärkte, die es an jeder Ecke gibt), kaufen eine kleine Wegzehrung und laufen zur nächsten Bahn. In dem Kombini erstand ich übrigens das beste Apfel-Teilchen meines Lebens. Den gesamten Urlaub über habe ich in jedem Kombini, den wir besucht haben, wieder genau dieses Gebäckstück gesucht und nie mehr gefunden.
Die Bahn fährt uns nach Shibuya. Tempo runter und ohne Ziel einfach nur gucken ist angesagt. Das setzen wir dort angekommen auch prächtigst um. Wir laufen die geschäftigen Straßen entlang, gucken in jecke Lädchen hinein oder beobachten Wächter eines Parkhauses, die zu sechst (!) die Autos rein und raus winken (natürlich mit Leuchtstäben und Headset-Mikros, die sehr laut über Außenlautsprecher kommen, damit die ganze Straße sie hören kann). Wieder mal sind wir froh, in Asakusa vor dem Tempel untergekommen zu sein. Da kannst du Nachts das Hotelfenster offen lassen und trotzdem gut schlafen. Eine gute halbe Stunde verbringen wir auch noch in einem Straßen-Café, dass nur aus einem zur Kaffeeküche umgebauten Kleinbus besteht, und gucken Leute. Während wir da so an Bistrotischen auf dem Bürgersteig sittzen, kommt ein japanischer Mini-Elvis (geschätzt 60 Jahre) vorbei und singt lauthals im gehen in sein Plastikmikrofon. Tanzend.
Später muss ich nochmal zur Shibuya-Crossing. Ja, es ist nur eine Straßenkreuzung, aber sie zieht mich irgendwie magisch an. Ich filme und fotografiere noch eine halbe Stunde das Menschengewusel und statte Hatschi noch mal einen Besuch ab, bevor es wieder in die Bahn geht. Die JR-Linie bringt uns den kurzen Hopser rüber nach Shinjuku. Vom dortigen Mega-Bahnhof aus trotten wir locker einen Kilometer komplett unterirdisch (teilweise über Laufbänder) zum Tokyo Government Building.
Bei unserem letzten Besuch dort am Montag warteten ja bereits unsere „Privatführerinnen“ auf uns und wir hatten keine Zeit mehr, um einen der beiden Türme hochzufahren. Denn sowohl Süd- als auch Nord-Turm bieten eine kostenlose Aussichtsplattform. Zwar hat man keinen 360° Blick, aber es lohnt sich dennoch, mal eben auf 243 Meter hoch zu jagen und die Aussicht zu genießen. Leider war es wieder diesig und daher an einen Blick auf Mount Fuji nicht zu denken. Wieder unten angekommen, spazieren wir zehn Minuten durch die Straßenschluchten zwischen den Wolkenkratzern hindurch zum Park Hyatt Hotel. Dem Hotel, in welchem ein Großteil von „Lost in Translation“ gedreht wurde, einem meiner absoluten Lieblingsfilme. Dieser Streifen hat vor zehn Jahren (und seitdem immer mal wieder) endgültig dazu beigetragen, auch unbedingt mal nach Japan zu wollen. Und jetzt stehe ich vor diesem Mega-Luxus-Schuppen. Meine bessere Hälfte kann solche Fan-Kult nicht wirklich nachvollziehen, folgt mir aber brav in die monströse Eingangshalle des Gebäudes.
Das Hotel selbst liegt nur in den obersten Stockwerken und so muss man erst mal den Aufzug finden. Auf der Suche spricht uns ein adrett gekleidetes Mädel an. Ach, in die „New York Bar“ wollen wir? Kein Problem, bitte folgen Sie mir. Sie bringt uns zum Aufzug, drückt ein Knöpfchen und steigt mit uns im 46. Stock aus. „Bitte folgen Sie mir!“ Wir fluffen („gehen“ kann man bei diesen dicken Teppichen nicht wirklich sagen) durch eine Bibliothek, am Empfang vorbei zu einem weiteren Aufzug, der uns in den 52. Stock bringt. Die eine Dame verabschiedet uns, eine weitere begrüßt uns – willkommen in der New York Bar! Tatsächlich kleiner als ich sie mir vorgestellt habe, liegt laut diversen Publikationen eine der Top-Bars der Welt vor uns. Sehr gedämpftes Licht, sehr gediegenes Ambiente, eine sehr hohe Decke und viele sehr freundliche Bedienstete. Aber der Ausblick. Dieser AUSBLICK! Zu unseren Füßen liegt Tokyos Blitzer-Glitzer Skyline hinter haushohen Fenstern. Es ist einfach gigantisch. Vor lauter Staunen bekommt man kaum mit, wie die freundliche Servciekraft einem die Stühle zurechtrückt und ein Schälchen mit Wasabi-Nüsschen hinstellt. Was es sein darf? Ja, öhmn, erst mal in die Karte gucken. Ich bin auf extreme Preise gefasst und überrascht: Ein 0,3 Liter Bier kostet umgerechnet keine sieben Euro. Die weitere Auswahl ist natürlich erlesen. Wir ordern zwei Bier und einen leckeren mir bekannten Scotch für den Herrn. Selbst der ist mit 9,50 Euro wirklich günstig für die Lage, da habe ich zu Hause auch schon mehr für bezahlt.
Kaum sind die Getränke da, wird ein Tisch direkt am Fenster frei. Sofort steht „unser“ Kellner neben uns und fragt höflich an, ob wir vielleicht dorthin umziehen möchten. Na klar wollen wir! Leider haben wir nur eine Stunde Zeit hier oben, denn um 20 Uhr wird eine „Cover Charge“ erhoben. Ab dann gibt es jeden Abend Live-Jazz und auf die Rechnung werden etwa 20 Euro pro Person aufgeschlagen, weil ja immerhin die Musi spielt. Das wollen wir uns selbstverständlich sparen. Wir glotzen, sind beeindruckt und gleichzeitig bin ich heimlich dabei, Fotos zu machen. Hey – Ich sitze genau da, wo Bill Murray und Scarlett Johansson ihre Flirt-Affaire mehrere Male mit Whisky begossen haben und vor mir glitzert eine 13 Millionen Stadt! Aber als ich mich umgucke sehe ich, dass ich nicht der einzige bin, der verstohlen Kamera oder Smartphone zückt 😉 Kurz vor acht bitten wir um die Rechnung und trotten langsam zurück zum Ausgang. Nach einem Besuch auf einer der mondänsten Toiletten, die ich je sah, gehen wir zum Aufzug. Dort werden wir wieder in Empfang genommen, alle Knöpfchen werden für uns gedrückt, wir werden verabschiedet und bis die Tür geschlossen ist, verharrt man in verbeugter Haltung vor uns. Gut, man kann’s auch übertreiben.
Aber geil war’s schon! 😉
Wieder in dieser Welt angekommen, spazieren wir 20 Minuten tief ins Herz von Shinjuku, um bei Watami ein leckeres Abendessen zu uns zu nehmen (da, wo wir Montag Abend schon einmal waren). Der würdige Abschluss eines sehr tollen Tages.