Samstag, 28.10.2017
Montgomery – New Orleans
Nach einem kurzen Aufwachen in der Nacht und noch einmal umdrehen konnten wir bis 7 Uhr weiterpennen. Perfekte Jetlag-Ausnutzung! Hochmotiviert öffne ich den knallbunten Motelvorhang in der Hauptstadt von Sweet Home Alabama. Einen wunderschönen guten Morgen … Regen. Egal. Erst einmal in die Lobby zum Frühstück, was gar nicht so übel ist. Ich erwähnte es bereits: Hier im Süden scheint ein Frühstück für fast sämtliche Hotels im Preis inbegriffen und völlig normal – im Gegensatz zum Osten und dem Südwesten.
Alles tot, wo einst Luther predigte
Kurz darauf fahren wir bei 20 Grad und nur noch ein wenig Niesel los – der Urlaub kann beginnen! Heute wollen wir bis New Orleans durchkrachen – immerhin je nach Verkehr 4,5 bis 5 Stunden. Dafür wartet dort schon heute – am ersten „richtigen“ Abend – ein Highlight des Urlaubs auf uns. Aber erst wollen wir eine Runde durch Montgomery drehen, wenn wir schon mal hier sind. Pflichtbewusst haben wir vor der Reise noch einmal „Selma“ angeschaut. Der Streifen handelt von Martin Luther King und dem Marsch der Schwarzen von Selma in Alabama zur Hauptstadt Montgomery im Jahr 1965. Auslöser war damals natürlich nicht enden wollende Rassismus – etwa im Bezug auf das Wahlrecht oder die Regelung, dass Schwarze im Bus nur hinten sitzen dürfen. Hier in Montgomery hatte Martin Luther King die einzige feste Kirchengemeinde seiner Karriere als Pastor – in der Dexter Avenue Baptist Church mitten in der Stadt.
Dort angekommen ist alles mausetot. Wir sind das einzige fahrende Auto weit und breit. An diesem frühen Samstagmorgen schaut das mächtige, schneeweiße Capitol Alabamas auf komplett verlassene Straßen. An der kleinen Baptist Church schlurfen lediglich zwei Obdachlose vorbei. Die Tür mit der echten Gaslaterne davor ist natürlich geschlossen. Eine Tafel weist auf MLK hin. Nicht schlimm, dass hier zu ist – denn Martin Luther King wird sich wie ein roter Faden durch diesen Urlaub ziehen und uns somit noch öfters begegnen. Selbstverständlich ist zu dieser frühen Stunde auch im nahen Civil Rights Memorial Center noch alles verrammelt, lediglich die Außenanlagen mit dem Brunnen kann man sich ansehen. Wir drehen noch eine Runde um das wirklich imposante Capitol, im Laufe dessen wir auch am „First White House“ vorbeikommen.
Mit dem Munde gemäht
Einer normalen, ich würde mal sagen Stadtvilla, die 1861 tatsächlich knapp vier Monate Sitz des Konföderierten-Präsidents Jefferson Davis war. Quasi dem Südstaaten-Präsident. Im April 1861 ging dann der Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd los. Drum herum, im gar nicht mal so kleinen Zentrum der Macht von Alabama, ist alles sehr glatt gebügelt und die Rasenflächen wirken wie mit dem Munde gemäht. Das graue Wetter und die fehlenden Menschen tun ihr übriges – schon nach gut einer Stunde sitzen wir bereits wieder im Auto und rollen Richtung Interstate, vorbei an gar nicht mehr so hübschen und stark verfallenen Holzhäusern.
Teilweise sintflutartiger Regen begleitet uns auf der I65 durch die langweilige Landschaft Alabamas. Links und rechts der Interstate Bäume. Stundenlang. Die gesamte Durchquerung Alabamas ist von der Autobahn-Perspektive her so spannend wie eine Fahrt über eine beliebige deutsche Autobahn.
Keine Zeit für Sümpfe und Meer
Je näher wir dem Golf von Mexiko kommen, desto besser wird das Wetter und umso interessanter die Landschaft. Ab dem Delta des Mobile River kommt Wasser und Sumpf mit ins Bild, auch die Brücken der Autobahn führen immer wieder über ganze Sumpflandschaften. Nach einer Tank- und Burgerpause in Mobile widerstehen wir dem Drang, kurz dem Golf von Mexico „Hallo“ zu sagen und biegen auf die I10 ab. Inzwischen hat es aufgeklart, die Sonner knallt. Warm ist sie aber nicht. Nur 15 Grad sagt das Tacho und trifft damit genau die Vorhersage, die man seit Tagen im Internet lesen kann. Heute wird der kälteste Tag in New Orleans seit Langem. Völlig Wurst, Hauptsache kein Regen heute Abend …
Nach 4,5 Stunden erreichen wir unser Hotel mitten in Downtown New Orleans. Das findet sich in einem alten Fabrikgebäude und wurde erst vor ein paar Wochen eröffnet. Dementsprechend gab es hier Welcome-Preise, sonst hätten wir uns eine solche Suite wahrscheinlich nicht leisten können. Nachdem der SUV vor der Tür ausgeladen wurde, überreichen wir den Mössjö Concierge den Schlüssel, der den Wagen sicher irgendwo verstaut, während wir unsere Suite betreten. Schick. Großes Schlafzimmer, noch größeres (?) Badezimmer und ein fensterloses Wohnzimmer erwarten uns. Alles sehr modern. Nicht schlecht für 95 Dollar mit Frühstück. Die Bude könnte man jetzt ein wenig für ein Päuschen genießen, um dann noch etwas New Orleans zu erkunden. Aber keine Zeit. Wir machen uns kurz frisch und lassen uns um 16 Uhr ein Taxi kommen. Ein Taxi zum Voodoo Music and Arts Festival im City Park der Stadt! Yäi!
Arsch abfrieren beim abrocken
Nach zwanzig Minuten trotten wir den Massen von der Straße zum Eingang des Festivals hinterher – völlig underdressed. Nahezu jeder hat hier irgendein halloweeneskes Kostüm an oder ist zumindest geschminkt. Das resultiert dann auch schon mal in – man möge mir verzeihen – 120 Kilo Damen, die sich in ein hautenges Feen-Kostüm mit Hot Pants zwängen. Dazu Flip Flops. Bei inzwischen 10 Grad. Klar, die Sonne scheint immer noch, aber um 18.30 Uhr geht sie schlafen und dann dürfte es empfindlich frisch werden an diesem kältesten Tag in New Orleans.
Wir trotten also in unseren Sweatpullis und Herbstjacken darüber zum Eingang und ziehen dank der VIP-Tickets lässig an der langen Schlange vorbei. Oh ja – für dieses Konzert hat man sich mal was gegönnt. Okay, und gleich Geburtstagsgeschenke damit verbunden 😉 Das Festival an sich ist wirklich hübsch – Mitten im Stadtpark eben. Große Bäume mit Spanish Moss, viel Rasen, tolle Grusel-Deko und mehrere Bühnen. Uns interessiert aber nur eine davon – die Altar-Stage benannte Hauptbühne, auf der als Headliner später unsere Leib-und-Magen-Band Foo Fighters spielen wird!
Lustiges Volk läuft hier herum. Wir sehen wirklich geile und aufwändige Kostüme. Im VIP-Bereich gibt es für unsereins Proleten ein paar Goodies wie ein Massage-Zelt, welches Rebekka direkt mal nutzt und sich durchwalken lässt. Der Herr der Schöpfung schlurft mit einem schweineteuren Bier in der Hand eher zum Barbershop, um sich einen Hot Shave zu gönnen. Doch der Herr Barber steht vor seinem Zelt und bedauert: No Hot Shaves! Der ursprüngliche Barber hat abgesagt und er ist der Ersatz, aber er hat keine Konzession für Rasuren. Verrückt, dass man sowas haben muss. A License to shave – klingt wie ein schlechter Bondfilm. Wir lachen beide. Er könne mir aber einen Haarschnitt anbieten. Ich weise auf mein kahles Haupt und wir lachen noch mal herzlich, bevor ich mich mit der fertig massierten Frau am Facepainting-Stand in die Schlange einreihe. Ergebnis siehe Fotos. Ach, übrigens Fotos: Natürlich waren auf dem Festival Kameras verboten, daher bitte ich die Qualität meiner Smartphone-Schnappschüsse zu entschuldigen.
Foo Fighters feiert man mit doppeltem Whisky
Endlich nicht mehr ungeschminkt unter all den Wahnsinnigen hier laufen wir ein wenig über das Gelände, während im Hintergrund „Live“ spielen. Die mochte ich früher schon nicht so. Es gibt einen netten Foodcourt, an dem wir chipsähnliche Pommes mit scharfem Südstaaten-Gewürz futtern und einen tatsächlich gut gemachten Gruselpark mit „echten“ und falschen Geistern & Zombies. Nach einem kurzen Blick auf eine der Elektrobühnen gehen wir zurück zum VIP-Bereich, um uns im dortigen Barzelt etwas aufzuwärmen. Wirklich frisch inzwischen. Ich hätte ja gern ’nen Whisky-Cola. Gibt’s auch. Für 10 Dollar! Langsam wird es Zeit, die extra für VIP-Besucher aufgestellten Holztribünen zu entern und sich einen guten Platz für die Foos zu sichern. Von dort oben hat man seitlich und nahe der Bühne perfekte Sicht und kann über den gemeinen Pöbel hinwegsehen 😉
In der halben Stunde bis Showtime gibt es ein paar kleinere Chats mit anderen Besuchern, die natürlich alle very impressed sind, dass wir nur wegen dieses einen Konzerts aus Dschörmani angereist sind. Ich lasse sie in dem Glauben und hole mir lieber noch einen Whisky-Cola, für den ich auch immer wieder brav meinen Pass vorzeigen muss. Dabei weise ich auf meinen geschminkten Totenschädel und frage „See? I am already dead – why the fuck do I have to show my ID?“ Das findet die armselig in ihrem Kleidchen zitternde Bedienung wohl so witzig, dass sie mir ab jetzt immer einen doppelten für den Preis eines normalen ausschenkt. Was wiederum ich witzig finde.
Festival in den USA ist anders
Über das Konzert brauchen wir nicht zu reden. Es sind eben die Foo Fighters, verdammt! Und es ist die gefühlt beste Show, die ich bisher von ihnen sehen durfte. Klar, das ganze drumherum, USA und so, das spielt schon eine große Rolle. Leider dürfen sie hier nur neunzig Minuten spielen, weil wegen der Anwohner früh Schluss sein muss. Dave Grohl kommentiert das mit „Okay, I can’t talk tonight, that would cost too much time.“ Sehr interessant ist es für mich, einmal ein Festivalpublikum in den USA zu erleben. Ich sah in den letzten beiden Jahrzehnten plus ein paar Jahre drauf sehr viele Konzerte, darunter auch jede Menge verschiedene Festivals. Aber hier ist die Stimmung doch eine eigenartig andere.
Etwa 50 Prozent feiern die Band so ab, wie ich das aus Europa kenne. Der Rest schaut kopfnickend oder sich unterhaltend zu und klatscht ab und an ein wenig Beifall. Trotzdem: Dieser Abend war alles wert – das VIP-Ticket, die zack-zack-Anreise nach New Orleans, den dicken Hals vom Mitgröhlen, sogar den Pulli und die Jacke. Es war der Abend!
Falls sich übrigens jemand für genau dieses Konzert der Foos interessiert: Yahoo hat die gesamten 90 Minuten in guter Qualität gestreamt. Hier ist es auf YouTube zu sehen. Gleich nach den letzten Tönen machen wir uns zum Ausgang. Natürlich wie alle anderen, denn zelten ist hier nicht, wir sind mitten in einer amerikanischen Großstadt. Am Taxistand haben wir absolut kein Glück. Am Ende landen wir nach einer Dreiviertelsunde des Wartens in einem Streetcar, das uns in die Nähe des Hotel bringt. Rappelvoll, das Ding, aber eine goldrichtige Entscheidung. Nach zehn Minuten Fußweg sind wir in der Suite angekommen – und nach einer warmen Dusche um 2 Uhr morgens im Bett. Tschüss Jetlag-Vorteil!
HOTEL-CHECK
Das Mercantile wurde erst im Spätsommer 2017 eröffnet. Der modern renovierte Altbau ist wirklich chic, die Zimmer eher Suiten und mehr als ausreichend groß. Als einziges Hotel dieser Reise bot es kein Frühstück, dafür liegt es mitten in Downtown. Ein richtig schönes Hotel, dass man – einen guten Preis vorausgesetzt – nicht verpassen sollte.
My third Blog und dieser Beitrag hier werden gerne gelesen, das verrät mir Google Analytics.
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Wir starten demnächst am 10.4. und fahren nahezu die idente Route und haben dafür 19 Tage eingeplant …