TAG 8 / TOKYO-KYOTO
Samstag, 17.05. / 25°C / sonnig
Gleich nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen und hören dabei wieder das Geflöte und Getrommle hinter dem Hotel. Das Tempelfest ist schon in vollem Gange. Wir sind ein bisschen traurig, dass wir von dieser tollen Stadt Abschied nehmen müssen. Aber auch sehr gespannt auf das, was uns in der kommenden Woche erwarten wird. Überhaupt – wir sind erst eine Woche unterwegs und es kommt mir viel länger vor. Reisen ist schon was tolles. Da bist du nur sieben Tage – eine normale Arbeitswoche plus Wochenende – in einer fremden Kultur und hast das Gefühl, ein Monat sei vergangen, weil du so viele neue Eindrücke gesammelt hast. Im Alltag fliegt eine Woche manchmal so schnell weg, dass man es kaum bemerkt.
Mit unseren vier Gepäckstücken machen wir uns auf den Weg vom Hotel zur Metro in Asakusa. Immerhin ist ein Rucksack dabei und das zweite Handgepäck – ein Miniköfferchen – hat wie die beiden normalen Koffer Rollen. Trotzdem ist es ziemlich nervig, das Zeug in der Metro herum zu schleppen. Denn so fortschrittlich und modern die Japaner auch sein mögen – Rolltreppen gibt es meistens nur dann, wenn es bergauf geht. Und auch dann nicht immer. Für heute habe ich mein Fitness-Training auf jeden Fall absolviert, so viel ist sicher.
Über Ginza und einmal umsteigen erreichen wir Tokyo Station. Jetzt erst mal den Bahnsteig für den Shinkansen suchen. Geht relativ fix, ist ja alles auch auf englisch ausgeschildert, wenn auch manchmal etwas verwirrend. Unsere Shinkansen-Tickets sind kleine Pappkärtchen, kleiner als eine Visitenkarte. Dass man sie an den Eingangsschleusen zu den Gleisen durchschieben muss, gucken wir uns von den anderen Fahrgästen ab. Kurz an der englischsprachigen Info nachgefragt, erfahren wir unser Gleis. Die Tickets haben wir schon ein paar Tage vorher in der Tokyo-Station gekauft. War ziemlich beeindruckend, weil auf die Frage nach der Abfahrtszeit damals zurück gefragt wurde: „When do you want to go? 11:50, 12:00, 12:10“ … und so weiter. Die Bahnverbindungen in diesem Land sind mordsmäßig. Am Gleis geht es beeindruckend weiter. An jedem ist genau angegeben, wo welcher Wagen des jeweiligen Zuges genau halten wird. Am Fußboden gibt es dann wie in der Metro Markierungen, an denen man sich aufstellt, um genau in seinem reservierten Abteil zu landen. Vorher kann man natürlich in komfortablen und sauberen (!) kleinen Glaskästen auf seinen Zug warten. Im Sommer klimatisiert und im Winter sicher beheizt. Dazu gibt es Getränkeautomaten (natürlich) und Snackshops en masse und sogar mehrere kleine Raucherkabinen auf jedem Gleis.
Unser Shinkansen (es ist das schnellste und neueste Modell, „Nozomi“ genannt) fährt etwa eine Viertelstunde vor Abfahrt in den Kopfbahnhof ein. Das Gerät ist so unendlich lang, dass ich das Ende nicht erkennen kann. Aber einsteigen ist noch nicht. Nachdem die Passagiere ausgestiegen sind, drehen sich alle Sitze wie von Geisterhand in Fahrtrichtung um und eine Putzkolonne in pinker Tracht entert den Zug. Sehr zackig wird jeder Sitz und jedes Fenster abgewischt, die Deckchen auf den Kopfstützen werden ausgetauscht, es wird gesaugt und gewienert. Es wird 11.53, 11.54, 11.55 Uhr. Abfahrt soll um Punkt 12 Uhr sein. „Das schaffen die niemals pünktlich“, denke ich, denn inzwischen warten viele Fahrgäste vor all den vielen Abteilen auf Einlass und fast alle haben Gepäck. 11.56 Uhr – die Putzkolonne steigt unter Verbeugungen vor den Fahrgästen aus und verschwindet. Die Fahrgäste betreten den Zug, wuchten vor ihrem reservierten Platz den Koffer in die ausreichend großen Gepäckfächer über den Sitzen und setzen sich sofort hin. Wir tun ihnen gleich und als wir losfahren zeigt die Uhr Punkt 12. Nicht weniger überrascht von der Pünktlichkeit bin ich von der Beinfreiheit. Die bequemen Sitze kann man fast zu Schlafsesseln umfunktionieren ohne den dahinter sitzenden zu nerven. Ich kann mit meinen 1.85 Metern locker die Beine übereinanderschlagen und bin immer noch zehn Zentimeter vom Sitz vor mir entfernt. Mit so viel Platz müsste man Economy fliegen können … Der Zug wird bis Kyoto nur drei mal anhalten. Als wir an Yokohama vorbei sind, drückt der Kapitän mal ordentlich auf’s Gas. Die Beschleunigung merkt man sofort. Der Nozomi gleitet mit 300 km/h durch die Landschaft und man spürt fast keine Erschütterung. Dann sehen wir neben schöner Landschaft auch den fast von seinem Wolkenkranz enthüllten Mount Fuji an uns vorbeiziehen. Ein toller Anblick. Foto-Versuche mit dem Smartphone scheitern ziemlich, denn durch die hohe Geschwindigkeit verzerren die Bilder in der Waagerechten ganz schön arg.
Was bleibt noch zu erwähnen zum Nozomi? Alle Türen sind Schiebetüren und öffnen sich automatisch, die Toiletten sind groß genug und sauber (!), es gibt zusätzlich kleine Handwaschbecken auf dem Gang zwischen den Wagen und natürlich eine Art Stewardess, die auf Wunsch (gegen Bezahlung versteht sich) Ess- und Trinkbares am Platz serviert. Hatte ich die Raucherkabinen erwähnt? Drei davon gibt es auf diesem Nichtraucher-Zug, jeweils auf dem Gang zwischen zwei Abteilen. Links und rechts befinden sich hinter einer Glasschiebetür je zwei Kabüffchen mit Fenster, in die maximal vier Personen bequem Stehplatz finden. Zwei Personen standen schon dort und quarzten, ich war auf extrem fiese Luft vorbereitet. Aber nix da – es müffelte nicht nur gar nicht, ich würde sogar sagen die Luft war absolut rein. Jedes Rauchwölckchen wurde von einer hammermässigen Aircondition sofort eingesogen. Ach ja, und der Schaffner: Jedes mal, wenn er das Abteil betrat, drehte er sich vor dem Verlassen desselben an der Schiebetür zu den Fahrgästen um und verbeugte sich.
Nach 2 ¼ Stunden erreichen wir schließlich Kyoto. Immerhin eine Strecke von 476 Kilometern, nicht schlecht. Gäbe es eine schnurgerade Shinkansen-Linie von Köln nach Tokyo und würde der Nozomi darauf immer 300 km/h fahren, bräuchte man mit dem Zug 31 Stunden 😉 Und ja, zur Ehrenrettung muss man sagen, dass die neuesten ICEs genau so schnell unterwegs sind. Aber wie ich finde nicht so pünktlich, komfortabel und kundenorientiert.
In Kyoto trabe ich noch fix zu einem Bankautomaten der am Hauptbahnhof gelegenen Poststation, um unsere Bargeldreserven aufzutanken. Visa-Karten funktionieren an den Post-ATMs ohne Probleme, an anderen Automaten versagen sie. Dann schleppen wir unsere Koffer in die hier übersichtliche U-Bahn, um die zwei Stationen bis zum Hotel zurück zu legen. Es gibt hier nur zwei U-Bahn-Linien, die Kyoto wie ein Kreuz unterhöhlen. Ansonsten fährt man hier Bus. Es klingt albern, aber obwohl die Stadt immerhin 1,5 Mio. Einwohner hat (und damit eine halbe Million mehr als Köln), wirkt sie nach Tokyo fast wie ein verschlafenes Nest auf uns. Hier laufen die Mädels auch gerne in Jeans und T-Shirt rum, hier ist viel weniger Bling-Bling und Getröte, alles kommt einem irgendwie normaler vor. Spontan erinnert uns die Atmosphäre ein wenig an Philadelphia. Übrigens Köln: Kyoto ist eine Partnerstadt von Kölle!
(HOTEL-CHECK) Wir checken im Monterey-Hotel ein. Sehr gediegen, fast ein wenig luxuriös. Schon eine ganz andere Klasse als das Blue Wave in Tokyo. Dabei durchaus recht günstig (50 Euro/Nacht/Person inklusive Frühstück) für japanische Verhältnisse. Bei meiner Hotelsuche war es eins der günstigsten verfügbaren, daher sind wir positiv überrascht. Auch noch, als der nette Concierge uns die Zimmer persönlich zeigt und natürlich auch einen Koffer selber nimmt. Nicht mehr allerdings, als wir das Onsen – die uralte japanische Version des Spas – im Dachgeschoss begutachten wollen. Wir hätten gerne mal hinein geschaut, aber mit einer Tätowierung hat man leider keinen Eintritt, wie ein Schild unmissverständlich ausdrückt. Ich hab zwar nur eine, aber die reicht schon. Diskriminierend? Ja, irgendwie schon. Dabei muss man aber trotzdem den Hintergrund verstehen. Die Jungs der sehr mächtigen japanischen Mafia, der sogenannte Yakuza, haben alle fette Tätowierungen, meist auf dem Rücken. Und gerne auch abgeschnittene Fingerglieder. Da man diese Herrschaften aber nicht gerne in Onsen sieht, ist oft der Zugang für tätowierte Personen generell verboten. Typisch japanisch eben. So versaut man es sich nicht mit der Yakuza und bewahrt sein Gesicht. Wenn dabei offensichtlich westliche Besucher mit einem kleinen Tattoo am Bein und gesunden zehn Fingern ebenfalls der Eintritt verwehrt wird, gilt das als Kollateralschaden. Doof. Vielleicht besorg ich mir ja noch ’ne Familienpackung Pflaster in der nächsten Apotheke, mal sehen.
Am späten Nachmittag laufen wir zu Fuß zum Park des alten Kaiserpalastes. Nur kurz erwähnt, für alle Unwissenden: Kyoto war lange Zeit vor Tokyo die Hauptstadt Japans. Eben darum finden sich hier unzählige Tempel, Schreine und Weltkulturerbestätten. Aber wie immer hilft auch hier Tante Google.
Der Park ist ganz nett, aber kein Highlight und schon bald macht sich Hunger breit. Es ist ja auch schon 18 Uhr und das Frühstück eine Weile her. Außerdem geht bald die Sonne unter. Hier immerhin erst um viertel vor sieben, ganze zwanzig Minuten später als in Tokyo. Mal eben im Smartphone nachgucken … gibt es nicht auch eine Watami-Filiale in Kyoto (Siehe Tag 3 und Tag 6)? Nach einer halben Stunde sitzen wir in genau dieser, lassen es uns schmecken und schmieden dabei mit dem Reiseführer Pläne für morgen. Es soll sehr warm und sonnig werden und wir wollen viel sehen in dieser Stadt, darum wollen wir morgen schon früh los,um einen Power-Sightseeing-Tag zu veranstalten.
Übrigens sehe ich gerade beim tippen dieser Zeilen, dass sich auch in diesem Hotel – wie in dem in Tokyo – eine Taschenlampe in einem Halter unter dem Schreibtisch befindet. Ich nehme mal an, die ist für einen Stromausfall bei Erdbeben gedacht. Sie wird wohl hoffentlich nicht gebraucht.