Spannende Südstaaten – USA 2017 / Tag 8

Freitag, 3.11.2017
/ Baton Rouge – Vicksburg /

Was für eine Suppe! Baton Rouge präsentiert sich nach dem Aufstehen milchig-grau, Sicht vielleicht zwanzig Meter. Gleich nach dem Frühstück steht eine dreistündige Fahrt Richtung Vicksburg an, wo wir heute Abend die volle Ladung Südstaatenromantik mitnehmen werden – schlafen wie wie vom Winde verweht. Doch wie toll das wirklich werden wird, können wir natürlich noch nicht ahnen. Auch nicht, dass zum Abendessen Alligator wartet …

 

Back to the Fifties
Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt – die Nebelsuppe rund um den Mississippi hat sich nur ganz wenig gelichtet – ist der Highway vor uns plötzlich komplett gesperrt. Warum erfährt man nicht, dafür winkt die Highway Patrol den Verkehr auf eine kleine Landstraße. Ausgeschildert ist die kurzfristige Umleitung natürlich nicht. Und so hilft auch das Navi nicht weiter, denn wir haben schließlich keine Ahnung, ab wo die Sperre wieder aufgehoben ist. Wir entscheiden uns, die übernächste Auffahrt in ein paar Meilen zu wählen – und ab da wird es abenteuerlich.

„Here“, die kostenlose Navi-App, begleitet uns dank seiner Offline-Karten auf jedem USA-Trip. Doch hier ist die gute App etwas überfordert. Oder es gibt schlicht keine andere Strecke zurück zum Highway als die, die uns angezeigt wird. Zunächst geht es durch ein ärmliches kleines Dorf, das original so aussieht, als wäre dort die Zeit in den 1950ern stehen geblieben. Ohne Witz. Die teils ziemlich vergammelten Holzhäuser, die Schilder, selbst die Autos teilweise – alles sieht aus, wie man es aus Filmen dieser Zeit kennt. Dazu kommt, dass wir die beiden einzigen Weißbrote weit und breit sind.

Es sind viele Leute auf der Straße unterwegs beziehungsweise stehen vor Shops oder Autos herum – alle Schwarz. Dazu wird uns hinterher geguckt, als hätten wir uns verfahren. Stimmt ja auch. So sieht also die Armut auf dem Land in den Südstaaten aus. Der Weg führt uns weiter auf eine immer enger werdende Straße, die schließlich in eine Schotterpiste mündet. Und die auf einen Waldweg, der nur Platz für ein Auto bietet. Wir beten, dass uns niemand entgegenkommt. Doch es geht alles gut. Nach zehn Minuten Offroad kommt plötzlich der Highway in Sicht – und er ist nicht mehr gesperrt!

Die weiteren anderthalb Stunden bis Natchez verlaufen dagegen ereignislos, nur Mr. Migraine kommt mich besuchen, was unschön ist. Dafür lichtet sich aber auch die Nebelsuppe und die Sonne verwöhnt uns bei einer kleinen Rundfahrt durch den Ort. Die Info für die Drive-Thru-Tour haben wir uns im Visitor Center am Ortseingang besorgt. Die sind wirklich nett dort und die Stadt ist sicher schön. Wir sehen ein paar antebellum Häuser und fahren durch putzige Straßen, aber nichts haut uns von den Socken. Außerdem wird mein Kopf immer schlimmer, also schnell weiter nach Vicksburg, was auch noch ein ganz schöner Stiefel zu fahren ist.

National Military Park in Vicksburg – Kanonenboot

 

Zur Hälfte gesperrter Bürgerkrieg
Dort angekommen ist inzwischen wieder vollends der Sommer ausgebrochen und die Medis schlagen langsam bei mir an. Daher fahren wir gleich zum National Military Park durch, denn hier fand eine bedeutende Schlacht im Bürgerkrieg Nord- gegen Südstaaten statt. Der Park mit den Originalschauplätzen ist riesig und komplett mit dem Auto zu absolvieren. Man sieht Kanonenbatterien, Schlachtfelder (also Wiese) und ein wirklich interessantes Kanonenboot, das einst auf dem Mississippi fuhr (langsam kann ich den Fluss sogar im ersten Zug unfallfrei schreiben). Am Boot gibt es noch ein kleines Museum und eigentlich würde es jetzt auf die „andere Seite“ der Schlacht gehen, also die der Nordstaaten, doch die Straße ist gesperrt. Die Hälfte des Parks ist also geschlossen weil ist nicht. Warum steht wiedermal nicht da. Schön, dass sie einen am Eingang den vollen Preis zahlen lassen, ohne auf diesen Umstand hinzuweisen.

Was soll’s, fahren wir eben zum Mississippi-Ufer. Am Punkt mit den beiden Brücken (die alte und neue Vicksburg Bridge stehen gleich nebeneinander) hat man eine schöne Aussicht. Dort ist auch das Visitor Center zu finden. Nun ja – wie schon einmal erwähnt – wir wohnen am Rhein. Der ist blauer und zumindest von hier aus gesehen genau so breit. Entlang der Washington Street fahren wir anschließend langsam durch Vicksburg unserer Schlafgelegenheit entgegen. Wir hatten uns gegen 16 Uhr telefonisch angesagt, das wurde so gewünscht. Jeder zweite Laden, den wir auf dem Weg über die Hauptstraße Vicksburgs passieren, ist vernagelt. Ein bisschen unheimlich sieht das schon aus. Obwohl der 26.000-Seelen-Ort auch sehr viele schöne Häuser und Kirchen zu bieten hat.

Das Belle of the Bends – Esszimmer (schon fürs Frühstück eingedeckt)

 

Ms. Jessie
Gerade, als wir in die Straße zu unserem Bed & Breakfast einbiegen und diesen Tag schon als den unspektakulärsten der Reise abbuchen wollen, klappt uns vor unserer Unterkunft, dem Ahern’s Belle of the Bends, der Kiefer herunter. Um es gleich zu sagen: Heute wird es keinen Hotel-Check unter dem Bericht geben. Alles, was nun folgt, ist ein einziger Hotel-Check. Das Belle of the Bends wurde, wenn ich mich recht erinnere, um 1850 von einem Juristen für seine Verlobte zur Hochzeit gebaut. Dazu gab es im Paket ein Klavier für die Liebste, welches – wie viele andere Möbel von damals – immer noch im Haus zu finden ist.

Das Belle of the Bends sieht außen wie innen so aus, wie man sich Südstaatenvillen vorstellt. Die Tatsache, dass noch so viel original an dem Haus ist, macht es umso bemerkenswerter. Als würde man in einem Museum wohnen. Die Fotos in der Galerie unten können das nur unzureichend wiedergeben. Aber das Beste am ganzen Haus ist Ms. Jessie. Eine resolute aber herzliche Schwarze um die Mitte 50, die das Haus im Auftrag seiner Besitzer als Bed & Breakfast betreibt. Ms. Jessie kümmert sich um alles, sei es die Buchhaltung, die Wäsche oder das jeden Morgen frisch gekochten Frühstück. Sie hält das Haus in Schuss und wohnt selbst im Dachgeschoss dieses Schmuckkästchens. Und sie liebt es, das merkt man ihr an, ebenso wie den Stolz auf „ihr“ Haus.

Ab dem Moment, in dem man seinen ersten Fuß auf die alten Holzdielen setzt, plappert Ms. Jessie ohne Unterlass in breitestem Südstaaten-Slang drauf los. Aber irgendwie kommt man trotzdem mit. Zunächst gibt es eine komplette Hausführung und ein wenig zur Geschichte (mehr davon steht dann noch in einem Ordner, der in jedem Zimmer ausliegt), dann werden die Hausregeln erklärt und schließlich muss man noch erzählen, woher man selber kommt und so weiter. Es ist ein ganz kleines bisschen so, als würde man nach vielen Jahren wieder einmal nach Hause zu Muttern reisen, so heimisch fühlen wir uns ab der ersten Minute.

Unser Zimmer ist im Erdgeschoß rechts, im früheren „Herrenzimmer“. Dorthin zog sich der Hausherr nach dem Dinner mit den männlichen Gästen zu Zigarre und Whisky zurück. Heute steht dort ein urgemütliches Bett aus einem der Schlafzimmer des Hauses (original von damals, bis auf die Matratze zum Glück) und viele kleine putzige andere Möbel. Das einzige moderne ist der Fernseher. Wohn- und Esszimmer – oder heißt das hier „Salon“? – und die Küche sind ebenfalls stets für die Gäste geöffnet. Jedes Zimmer hat außerdem ein eigenes Bad.

Ms. Jessie in ihrer Küche (die man auch benutzen darf)

 

Alligatorhäppchen und Mondschein
So langsam geht die Sonne unter und wir lösen uns von Ms. Jessie, um uns auf die Veranda im Obergeschoss zu begeben. Dort sitzen wir bei 25 Grad auf der Hollywood-Schaukel, schauen dem roten Ball zu, wie er über dem Mississippi versinkt, und fühlen uns großartig. Als es langsam Zeit wird, etwas zu Essen im Ort zu jagen, werden wir von Ms. Jessie noch vorgewarnt. Eine kleine Hochzeitsgesellschaft habe sich für diesen Abend als Übernachtungsgäste angesagt. Ein 80-jähriger(!), seine Frischvermählte und die Kinder der beiden. Falls es also zu späterer Stunde etwas lauter werde, wüssten wir Bescheid. Ist uns egal, wir haben Hunger. Und nicht weit entfernt werden wir bei Rusty’s Grill fündig. Eine Tripadvisor-Empfehlung, die sich gewaschen hat.

Die zwanzigminütige Wartezeit auf einen Tisch verbringen wir mit einem kleinen Spaziergang durch das dunkle Vicksburg, danach dürfen wir endlich – neben dem Cou Yons gestern und vorgestern – das beste Futter des Urlaubs einnehmen. Als Vorspeise entscheiden wir uns für frische Gator Bites. Jawoll, Mississippi-Delta-Alligator. Kleine Stückchen im Teigmantel, frittiert wie bei Kentucky Fried Chicken und mit einer Hammersauce. Richtig gut! Auch das Blackened Chicken war großartig.

Müde und satt sitzen wir um 22 Uhr wieder auf der Porch des Belle of the Bends, dieses Mal im Untergeschoß, gleich neben unserem Zimmer. Es ist immer noch warm, die Grillen zirpen, der Mond scheint fast voll auf uns herab und es fühlt sich ein bisschen so an, als säßen wir vor unserem eigenen Haus (schön wär’s). In der Küche gehe ich auf die Suche nach einem Glas für meinen Gute-Nacht-Whisky als Ms. Jessie erscheint und mir neben einem echt wertvoll aussehenden Whisky-Tumbler die Eiswürfelmaschine ans Herz legt.

Aus dem einen Gute-Nacht-Whisky werden zwei, dann drei. Plötzlich fängt es an zu gewittern. Eine unglaubliche Sintflut gießt minutenlang auf die Straße, die Mülltonnen der Nachbarn schwimmen weg. Wir sitzen trocken im T-Shirt auf der Porch und beobachten das ganze. Danach ist es etwas kühler, aber immer noch angenehm. Irgendwann so gegen Mitternacht verabschiedet Rebekka sich ins Bett. Ich kann mich einfach nicht losreißen, schaffe es aber dann doch gegen halb zwei und falle in das sehr weiche Himmelbett, in dem vermutlich schon ganze Generationen Südstaatler gezeugt wurden. Die sonderbare Hochzeitsgesellschaft ist übrigens nicht mehr aufgetaucht. Aus welchem unglaublichen Grund berichte ich morgen. Gute Nacht!


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